Dienstag, 19. November 2013

Für welchen Mitteln ein Mensch fähig ist - Rezension einer Buchrückseite (`Der Verräter´ von Simone Kaplan)




Heute, liebe Leser, möchte ich eine Buchrückseite besprechen. Ihr kennt das, wenn mit nur ein paar knappen Sätzen eure Phantasie unendlich angeregt wird? Wenn ihr alle euch drängenden Aufgaben einfach vergesst und Ihr euch einfach nur in Omas gemütlichen Ohrensessel schmiegen wollt und endlich mit dem schmökern dieses neuen, euch noch unbekannten Werks beginnen wollt, ihm richtig entgegenfiebert?
Dann lest um gotteswillen nicht die RückseiteDann geht es euch so wie mir mit Simone Kaplans Rückseitentext zu "Der Verräter".

So, ich sitze schon in Omas Ohrensessel (warum heißt das eigentlich Ohrensessel? Wurde das Leder aus tausenden abgeschnittener Ohren hergestellt? Können die mich hören, wenn ich was sage, während ich hier sitze? Hilfe.) Moment, ich hol mir grad noch eine Flasche Doppelkorn eine schöne Tasse Pfefferminztee, dann gehts los:

Diese hoffnungsvolle Jungautorin (seit 2012 erst über 30 Bücher verfasst, aber dies nährt Hoffnung: wenn ich noch 40 Jahre lebe, kann ich statistisch gesehen, wenn Kaplan in dem Tempo weitermacht, noch über 600 Bücher von ihr lesen) hat mich jedenfalls mit der Zusammenfassung zu ihrem Thriller richtig in den Bann gezogen.

Der Einstieg ist noch vergleichsweise zahm, wirft aber dennoch bereits zahllose Fragen auf:

"Zack 32 Jahre zieht wegen eines interessanten Jobangebot von Boston nach New York. Dort lernt er Steve kennen und freundet sich mit ihm an."
  • hat Kaplans Thriller auch Science-Fiction Elemente? Der Name Zack 32 deutet stark darauf hin! Viellecht ein Klon? Oder ein Roboter? Ich liebe Roboter. Aber der Nachnahme `Jahre´ deutet doch auf eine menschliche Komponente hin. Vielleicht geklonte MenschRoboter-Hybriden!
  • leicht enttäuscht bin ich darüber, dass sich Kaplan für das viel zu oft verwendete Klischee des `interessanten Jobangebots´ entschieden hat. Für ein uninteressantes Jobangebot umzuziehen, das wäre mal was. Aber schon hier wird klar, dass Zack 32 Jahre ein furchtloser, mutiger Visionär sein muss. Wenn man nur für ein Angebot direkt umzieht, muss man einfach Mumm in der Buxe haben, ich hingegen bin so in der Notwendigkeit monetärer Abhängigkeit verwurzelt, dass ich mich nur bei einem bereits von beiden Seiten unterschriebenen Arbeitsvertrag bei einem Umzugsunternehmen vorstellen würde. Aber was weiß ich schon vom echten Leben.
  • Steve scheint offensiichtlich kein Menschroboterhybrid zu sein. Einerseits schade, denn ich liebe Roboter, andererseits deutet sich hier bereits eine mögliche Konfrontation zwischen Mensch und Menschhybridroboter an. Spannend.
  • das Weglassen des genitivus qualitatis macht bereits mit dem ersten Satz unmissverständlich klar: Kaplan ist bereit, radikal mit jeder Regel zu brechen, wenn es gilt, ausgetrampelte Pfade der SchundTrivialliteratur zu brechen!  
 "Als Steve nach der Trennung mit seiner ersten Liebe ein packender Thriller darüber schreibt ist Steve überhaupt nicht begeistert davon."
  •  Aha! Steve hat sich von Zack 32 Jahre nach kurzer Zeit schon wieder getrennt? Und um diese traumatische Trennung zu verarbeiten, schreibt Steve zusammen mit seiner ersten Liebe (DEN Anruf würde ich gerne persönlich miterleben: "Ähm .. hallo, hier ist Steve, du weißt schon, der von damals, vor dreißig Jahren, in der Grundschule. Genau, der dem du eine geklebt hast, nachdem er dich versucht hat auf dem Spielplatz ... Also jedenfalls, ich hatte einen neuen Freund, aber von dem habe ich mich getrennt, weißt du, ich kam mit meiner neu entdeckten Homosexualität einfach nicht so gut klar, und weil da echt total viele spannende Dinge passiert sind bei der Trennung, möchte ich einen packender Thriller darüber schreiben! Wie, es heißt `packenden Thriller´? Das ist mein Buch, ich mach die Rechtschreibung und du schreibst über das Mädchenzeug darin und so.")
  • Steve scheint das Schreiben eines Thrillers nicht gut bekommen zu sein, denn er ist selbst nicht davon begeistert, dass er einen packender Thriller geschrieben hat. Entweder ist Steve schizophren oder er ist doch auch ein MenschRoboterhybrid - die menschliche, emotionale Seite versucht die Trennung zu verarbeiten, während die sachlich-robotische Seite dies kategorisch ablehnt. Hoffentlich ist es die zweite Variante, ich mag Bücher mit Robotern.

"Neidisch muss er feststellen dass Zack ein Ausnahmetalent ist im Schreiben. Während seine Werke eher auf dem Grund des Meeres liegen."

  • Ja, Ausnahmetalente im Schreiben sind rar. Nur wenige Auserwählte können ca. 15 Bücher im Jahr veröffentlichen. Mag Zack auch Kaplansche Qualitäten aufweisen, Steve hingegen scheint wohl nur, immerhin packende, Thriller schreiben zu können.  Auf jeden Fall scheint auch Steve sehr produktiv zu sein, wenns auch nur für Fischfutter reicht.
  • Hat Kaplan hier einen Skandal in der Literaturszene aufgedeckt? Es scheint, als gäbe es einen Geheimbund oder eine Gruppierung oder was auch immer, die packende Thriller uns Lesern vorenthält und diese auf dem Meeresboden entsorgt! Ich weiß nicht was schlimmer ist, die Vorstellung, dass Bücherverbrennung durch Bücherversenkung abgelöst wurde, oder dass die Meeresfische in Zukunft nicht an Verschmutzung sondern an Legasthenie erkranken.

"Auch im Job hat Zack die Nase vorn. Als Zack ihm wegen seines Thrillers vertrauensvoll um Rat bittet schmiedet Steve einen Racheplan .....der Zack bis an die Grenze des Verstandes bringt!"
  • Dass die Autorin etwas von den Grenzen des Verstandes ... äh ... versteht, dürfte klar sein. Eine Wahnsinnige schreibt einen Thiller  über jemand, der einen Thriller schreibt und damit jemand so rachsüchtig macht, dass dieser den (fiktiven) Thrillerautor wahnsinnig macht. Irgendwie macht mich alleine schon dieser Rückseitentext selbst wahnsinnig, herrlich! So spielt man mit Metaebenen, Kaplan zeigt damit allen Möchtegernthrillerautoren wo es langgeht (in die Irrenanstalt)!
  •  In welchem Job mag Zack wohl die Nase vorn haben? Als Reiniger im Ameisenbärgehege? Dann wäre Zack wirklich ein Tausendsassa.
  • Kommt hier eine autobiographische Komponente ins Spiel? Verarbeitet Kaplan vielleicht selbst ein eigenes traumatisches Erlebnis, nachdem sie jemanden wegen eines Thrillers vertrauensvoll um Rat gefragt hat? Ich könnte mir vorstellen, dass Kaplan vom Thema "rachsüchtiger Leser" so einiges versteht.
  • Also: Zack hat sich mit Steve angefreudnet. Steve schreibt einen packender Thriller. Dann fragt ihm Zack wegen seines eigenen Thrillers um Rat, woraufhin Steve einen Racheplan schmiedet. Sehe nur ich hier Grundzüge einer dadaistisch-anarchischen Handlungsstruktur?
"Was machst du ,wenn dein bester Freund in Wahrheit dein größter Feind ist?"
  • Wer von uns hat sich in der ein oder anderen Form diese Frage nicht auch schon gestellt: Was machst du, wenn dein neues Thrillerebook eine unglaublich schlechte, orthografisch pervertierte Grütze ist? Was machst du, wenn dir keiner deiner Testleser sagst, dass du lieber Straßenbauarbeiter oder Kükensortierer werden solltest, anstatt Autor?
  • Gibt es einen größeren Feind als die Kommasetzung?
"Für welchen Mitteln ein Mensch fähig ist, wenn er blind vor Neid und Rachsucht ist um das geht es in dem Thriller `Der Verräter´"
  • Im letzten Satz das größte Kleinod: Mit grandioser poetischer Kraft hebelt Kaplan erneut lapidare grammatikalische Regeln auf. Wie in einem gewaltigen Gedicht, gegen das Shakespeares "Der Sturm" wie der erste Schulaufsatz eines legasthenischen Kindes, dem man vier Wochen sein Ritalin entzogen hat, wirkt, stimmt uns Kaplan ein auf die grundlegenden Themen von "Der Verräter", nämlich Grammatik und Selbstüberschätzung, nämlich Neid und Rachsucht.
Und so schließe ich meine Rückentextbeschreibung mit dem Aufruf an alle Leser: Geht hin und mehret euch lest, verarbeitet und verinnerlicht dieses Werk.

Für welchen Mitteln seit Ihr fähig, dem Oevre Simone Kaplans noch zu widerstehen? Ich nicht, von nun an hat Simone einen neuen Fan.

1 Kommentar:

  1. Oh, bitte, noch mehr von deinen Rezensionen. Ich könnte mich pausenlos beömmeln :D

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